Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort.

Sie sprechen alles so deutlich aus:

Und dieses heisst Hund und jenes heisst Haus,

und hier ist Beginn und das Ende ist dort.
 

Mich bangt auch ihr Sinn, ihr Spiel mit dem Spott,

Sie wissen alles, was wird und war;

kein Berg ist ihnen mehr wunderbar;

ihr Garten und Gut grenzt gerade an Gott.
 

Ich will immer warnen und wehren: Bleibt fern.

Die Dinge singen hör ich so gern.

Ihr rührt sie an: sie sind starr und stumm.

Ihr bringt mir alle die Dinge um

Rainer Maria Rilke
 

 

Kultur des Abschieds


Woran mag es liegen, dass man in Todesanzeigen oft liest „Bestattung im engsten Kreise“, oder gar „Wurde bestattet“, das heisst, die Bekanntgabe des Hinschieds erfolgt erst nach der Beerdigung? Was mögen die Gründe dafür sein?

Als Begründung für eine Abdankung unter weitgehendem Ausschluss des Bekanntenkreises wird oftmals gesagt, der verstorbene Mensch habe es so gewollt. Nun, es ist gut möglich, dass jemand zu Lebzeiten, aus Bescheidenheit sagt, man solle seinetwegen dann doch wirklich nicht viel Aufhebens machen. Aus Genügsamkeit und Zurückhaltung möchte er nicht zu Umtrieben und Kosten Anlass geben. Ein Understatement also, das aber nicht unbedingt als unumstössliche Anordnung aufzufassen ist.

Ein anderer Grund kann sein, dass trauernde Angehörige sich gegen Aussen abschirmen wollen. Man ist in der Versuchung, eine Mauer zu bauen, um sich und um sein Herz herum, das so verwundbar geworden ist. Man sucht Schutz, zieht sich zurück, um nichts zu riskieren, um nicht enttäuscht zu werden. Man möchte allein sein und sich vor Verwundungen bewahren, vor Enttäuschung und Bitterkeit. Vielleicht geht es auch darum, Abstand zu gewinnen - allerdings oft ohne ein konkretes Ziel vor Augen zu haben. Eine solche Mauer, im bildlichen Sinn, bewahrt einen aber nicht nur vor möglichem Unangenehmem, sie hält generell alles fern, auch Freude, Freundschaft, Nähe und Hoffnung.

 

Der Lebenslauf als Porträt

Vielleicht befürchtet man gar, dass an der Trauerfeier, beim Lebenslauf, etwas erwähnt werden könnte, das den Angehörigen unangenehm sein könnte. Sicher, die Würdigung des verstorbenen Menschen soll im Mittelpunkt der Trauerfeier stehen, in dem man daran erinnert, wie er gelebt, gedacht und gefühlt hat, aber es ist klar, dass nichts zur Sprache kommen darf, das den Anwesenden unangenehm sein könnte. Es geht um das Andenken der Persönlichkeit, aber keinesfalls um eine Abrechnung. Das muss in einem Vorgespräch mit dem Pfarrer oder Trauerredner unmissverständlich geklärt werden.
Auch der von Trauerfamilien manchmal geäusserte Wunsch, man möchte vom persönlichen Kondolieren nach der Trauerfeier Abstand nehmen, ist zwar verständlich, kann jedoch irritieren. Ein Gedicht von Rainer Maria Rilke beginnt mit dem Satz: „Ich fürchte mich so vor der Menschen Wort. Sie sprechen alles so deutlich aus.“ Befürchten Trauerfamilien, dass Menschen, die zur Trauerfeier kommen, sie durch eine unbedachte Äusserung verletzen könnten?

Möglicherweise liegt der Grund für eine Abdankung im selbstbestimmten, ganz kleinen Rahmen auch darin, dass man denkt, dass ohnehin nur ganz wenig Leute kämen und leere Bankreihen in der Abdankungshalle könnten als Demütigung erlebt werden. Dies will man vermeiden, in dem man vorneweg die Ausrede gebraucht, man wolle für sich allein sein.

 

An sich und andere denken

Das Sterben betrifft nicht nur die, die von uns gehen, das Sterben bewegt auch die, die zurückbleiben. Es ist eine Zeit, die besondere Aufmerksamkeit und Fürsorge braucht. Eine Zeit auch, in welcher die Nähe von anderen Menschen besonders viel bedeutet.

Auch der Freundes- und Bekanntenkreis hat das Bedürfnis, in Würde Abschied nehmen zu können und seiner Anteilnahme Ausdruck zu geben. Darum sollte auf eine Trauerfeier in würdigem Rahmen nicht verzichtet werden. Und wenn immer möglich empfiehlt es sich, diese in der Sprache zu halten, an welche die Trauerfamilie gewohnt, die ihr geläufig ist. Das ist oftmals Mundart, Dialekt. Es gibt bei einem Todesfall ohnehin schon viel Ungewohntes, Fremdes, so dass es gut tut, wenn zumindest die Sprache vertraut ist.

Eine Abdankung, als Feier in einem entsprechenden Raum gestaltet, kann ein Gemeinschaftserlebnis sein, bei dem man Erinnerungen aufleben lässt, seine Gefühle teilt, sich mitteilt und sich nahe ist. Eine kurze Ansprache nur am Grab - wie sie auch hie und da gewünscht wird - kann diese Erwartung kaum erfüllen. Sie lässt zu wenig Zeit um die nötige innere Ruhe zu finden. Im Freien stehend, Wind und Wetter ausgesetzt, ohne musikalische Umrahmung, kann kaum die richtige Stimmung wach werden, die einen auch später, wenn man sich daran zurückerinnert, mit einem guten Gefühl erfüllt.

 

 

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